Die Formulierung des TRaums
- Firmitas als Festigkeit: die Konstruktion
- Utilitas als die Nützlichkeit: die Funktion
- Venustas als das Venushafte als die Anmut: die Gestaltung
Erst in der Mitte des 15. Jahrhunderts wird der Begriff von Leon Battista Alberti neu definiert und schafft damit eine für uns bis heute anschauliche Auffassung von ewig gültiger Substanz. Das Schöne entsteht für ihn aus der Welt der Ideen als beständige und unveränderliche Urformen oder Urprinzipien der Dinge auf die sich der Mensch immer beziehen kann.
Mit der Aussage Platons „ Jeder weiß Alles schon immer“ – gemeint ist das Wesen aller Dinge innerhalb des Aufbaus der Welt – rückt demnach auch die Geometrie mit ihren verhältnismäßigen Zuordnungen, den Proportionen, in den Bereich des ewig Gültigen.
Das Weltbild des Mittelalters wird durch den Gedanken des Ordo von Aurelius Augustinus beschrieben. Der Mensch schafft sich hier eine Grundordnung von Welt und Kosmos. Ordo baut auf der Rationalität von Zahl und Maß als Ausgangspunkt für die Erklärung alles Irrationalen auf.
Während sich also die Ideenlehre des Mittelalters als Logik des rein göttlichen Denkens mit der Kunst als Ausdruck göttlicher Erscheinung fest im theologiebeherrschten Bewusstsein verankert, entfernt sich deren Charakter im 15. Jahrhundert eines Alberti von der theologischen Fixierung und der Metaphysik der Antike. Sie existiert nun als direkter Bestandteil des menschlichen, besonders künstlerischen Geistes und führt, wie bei Michelangelo, zur „Heiligsprechung“ des Künstlers als Abbild Gottes.
Für die heutige Zeit kann die Auffassung des Architekten Louis I. Kahn von Ordnung als ein mögliches Denkmodell für die Architektur gelten: Er erklärt in seiner „order is“ die Ordnung als präexistent, lässt den Künstler aus ihr seine Schöpferkraft gewinnen, sieht das Einbringen von Ordnung durch Intuition als deren „Übungen“ und weiß zwischen angewandter Ordnung im geschaffenen Werk, auch der Natur, und Schönheit zu unterscheiden. Der innewohnenden Ordnung der Architektur steht ein Spiel von Kräften entgegen, das nicht zur „Unordnung“ führt, aber den Aufbau einer inneren Dualität schafft, die zur Vermeidung von Erstarrung und Gleichförmigkeit dient. Das allumfassende Harmoniebestreben im Glauben an die phytagoräisch-platonische Zahl wird einer Verfremdung, sogar Verzerrung oder Verbiegung der Gestaltungsprinzipien unterzogen.
Die Formulierung der Grundrisse ist ein Schaffen von Ordnung als eine sämtliche Teile des Entwurfs erfassende Ganzheitlichkeit. Die Einbeziehung der Details im Aufbau der Architektur, bis zum Mauerwerkstein als Modul, bedeutet eindringen in den Mikrokosmos und legt die Analogie eines organischen, weil abhängigen und hierarchisch gegliederten, beim „nucleus“ beginnenden Wachstumsprozess nahe. Andererseits erhält der Ordnungsgedanke seine Makrokosmos-Dimension: im realisierten abhängigen System komplexer Geometrie chiffriert sich Weltgesetzlichkeit als Abbild universeller Zusammenhänge. Es gilt ein historischer Fundus der Architektur mit Zeit und Raum überwindenden Prinzipien der Gestaltung als ewig geltende Gesetze und der Notwendigkeit ihrer Transformation auf gegenwärtige Zustände.
Kulturen aller Kontinente entwickelten ähnliche Prinzipien der architektonischen Gestaltfindung ohne jemals zu kommunizieren. So kann eine Art Weltgeist der Architektur angenommen werden, wobei stets umfassende Ordnungsvorstellungen als Bestandteil eines weit zurückreichenden Wissens in die gebaute Realität einflossen. Dabei muss dem möglichen Missverständnis entgegengewirkt werden, dass ausschließliche Auseinandersetzung mit rationalen Aspekten zu qualitätsvollen Resultaten in der Entwurfsgenese führe und das die alleinige Verwendung komplexer Geometrie die Architektur zu einem quasi-mathematischen Produkt erkläre. Auf die intuitiven Prozesse, die das Problem „irrational“ einkreisen und die Grundvoraussetzungen im Entwerfen darstellen, folgt die Transformation in maßlich-geometrische Figuren. Beides ergänzt sich wechselseitig und erreicht seine Qualität in der von der persönlichen Fähigkeit des Individuums abhängigen Synthese von Intuition und Rationalität. So kann das architektonische Produkt niemals aus einer der beiden isoliert betrachteten Aspekte allein seine Qualität entfalten.
Energetische Aspekte mit dem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit stellt eine weltweit wirkende rationale Kraft dar, die immer größere Bedeutung erlangt. Dies zeigt, dass auch der vermutete Weltgeist der Architektur Wandlungen unterliegt.
Neben den intuitiven Prozessen des Entwerfens, also einer individuumsbezogener „Irrationalität“ beeinflussen auch die regional gewachsene Baukunst die Gestaltung. Der Genius Loci gibt uns eine Orientierung, einen Ansatzpunkt für die eigene kulturelle Identifizierung.
Eine ins Grenzenlose übersteigerte Individualisierung, im gewissen Sinne somit auch Banalisierung, führt zu Auswüchsen, wie wir sie leider inzwischen tagtäglich erleben müssen. Wenn ganze Wohngebiete gestalterisch stärker von den Schnäppchenangeboten der umliegenden Baumärkte, von Fertighausanbietern oder von Bauträgern als von historisch gewachsener Baukultur beeinflusst werden, so ist hier sicher bereits klar eine Grenze überschritten worden. Dieser Verheerung ganzer Landstriche Einhalt zu gebieten und das Bauen als unverzichtbaren Teil unserer Kultur wieder seiner Bedeutung in unserer Gesellschaft zuzuführen, stellt für uns eine wichtige Aufgabe dar.